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Belarus – Herausforderung für die Glaubwürdigkeit der EU

European Wednesday mit Michael Gahler

European Wednesday – das ist, wenn ein maltesischer Rentner, eine polnische Doktorandin und Mutter, ein französischer Logistikmanagr, eine finnische Wissenschaftlerin und eine ehemalige britische Europaabgeordnete und viele andere sich mit Hilfe einer Videokonferenz und unter Teilnahme interessanter Experten über etwas unterhalten, das Sie gemeinsam betrifft und interessiert. Die erste Veranstaltung in diesem Format hat der Verein Citizens of Europe e.V. am 7. Juli durchgeführt, zum Thema Belarus.

Zu Beginn berichtete „Pavel“, ein Demokratieaktivist, live über die Situation in Minsk. Nie habe man sich vorstellen können, in die aktuelle Lage zu geraten. Nach den gefälschten Wahlen hätten alle die Tage Lukashenkas für gezählt gehalten. Der habe jeden Bezug zu seinem Volk verloren, wie etwa seine Vorstellung zeige, die Ehefrau seines Angstgegner Tychanovski nehme eh keiner ernst. Die Leute hätten aber den Wechsel gewollt, unbedingt, und die Aussicht auf eine Anführerin habe sie nicht im Geringsten verunsichert, eher im Gegenteil. Heute stünden mehr als 2/3 der Belarusen klar auf Seiten der Opposition. Dennoch laviere Lukashenka sich durch.

Pavel Slunkin, ehemaliger Diplomat und Guest Fellow am European Council for Foreign Relations, beschrieb die Situation des Regimes in Belarus als fragil: Bisher habe Lukashenka die Zusammenarbeit mit der EU gesucht, um sich gegenüber Putin eine gewisse  Eigenständigkeit zu sichern. Nun befinde er sich in einem prekären Dilemma: Seine Macht sei von der Unterstützung Moskaus abhängig, gleichzeitig dürfe er nicht zulassen, dass Belarus ganz in den russischen Orbit hineingezogen werde. Dann sei nicht zuletzt sein Überleben in Gefahr, nicht nur im politischen Sinne.

Michael Gahler MdEP, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments (und Vizepräsident der EBD), stellte daraufhin dar, dass auch der Kreml sich in einer schwierigen Lage befände. Die Angst vor demokratischen Bewegungen sei groß, gleichzeitig belaste das „Engagement“ des russischen Staates in der Ukraine, in Georgien, in Moldova, im Nahen Osten und nun auch in Belarus das Budget Russlands in einer auf Dauer nicht tragbaren Weise. „Ich habe keine Glaskugel, kann mir aber nicht vorstellen, dass das noch weitere fünf Jahre gut geht“, so Gahler. „Auch Russen wollen funktionierende öffentliche Infrastruktur, Schulen und ein Gesundheitssystem.“

Die Diskussion, moderiert von Frank Burgdörfer, kreiste dann um die Frage nach dem Verhältnis von Werten und Geopolitik: Verhält sich die EU nicht ebenso expansiv wie Russland, wenn sie ihre eigenen Wertevorstellungen verbreiten will? Gahlers Antwort: „Wir zwingen niemandem eine Regierung auf und verlangen von niemandem die Übernahme unserer Demokratie. Aber wer sich an unserer Seite positioniert, muss auf uns zählen können.“ Nicht alle teilten diesen Enthusiasmus. Einig war man sich jedoch, dass der Umgang mit Herausforderungen wie Belarus entscheidend sei für die Glaubwürdigkeit und das Selbstverständnis der Europäischen Union.

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz