Wie viel Kontakt besteht wirklich zwischen Europäern? Zu wenig, meint Frank Burgdörfer vom Verein Citizens of Europe. Im Interview spricht er über das enge europäische Milieu, nationale Denkschablonen und warum ausgerechnet kleine Städte für europapolitische Veranstaltungen geeigneter sein könnten als große Metropolen.
Auf eurer Homepage steht, es fehle in Europa an der Koordination von zivilgesellschaftlichen Aktionen. Was meint ihr damit?
In Europa gibt es relativ wenig grenzüberschreitende Interaktion und Zusammenarbeit. Kontakte sind dann da, wenn es der Geldgeber erzwingt. Dass sich aber Leute aus verschiedenen Ländern zusammentun und versuchen, gemeinsam was auf die Beine zu bringen, das gibt es ganz wenig.
Welche Bereiche sind da angesprochen?
In der organisierten Zivilgesellschaft ist die Zusammenarbeit auf den ersten Blick kein Problem. Die nationalen Gewerkschaften oder die Umweltverbände arbeiten zusammen, jedenfalls soweit sie versuchen, etwas bei der Brüsseler Kommission zu erreichen. Aber selbst in diesem Bereich beschäftigt man sich kaum mit anderen Europäern, sondern arbeitet sehr national. Selbst in der europäischen Bewegung passiert das meiste im nationalen Kontext, da sind die Europäer von Volkswagen und die Europäer vom DGB organisiert und treffen sich zu ihren Sitzungen. Und der Generalsekretär fährt dann mal nach Polen und erklärt denen, wie hier in Deutschland europäische Organisationen aufgebaut sind. Oder diese riesige Europa Union mit ihren lokalen und regionalen Gruppen, die es seit den 1950er Jahren gibt: Da muss man im Prinzip sieben bis acht Mal Karriere machen, um einen Ausländer zu treffen. Für unser Verständnis ist das wenig europäisch. Es gibt viel zu wenig Ansatzflächen, um sich einfach mal mit anderen Europäern zu unterhalten und zu überlegen, was man zusammen machen könnte.
Das erscheint paradox: Die europäischen Bewegungen sind national organisiert.
Eigentlich ist alles so organisiert, Mittel werden so vergeben und Kontakte werden so gemacht. Außerdem ist das, glaube ich, auch eine mentale Geschichte. Wir organisieren und sortieren alles erst mal nach Nationalität. Es wird wahrscheinlich auch noch ein oder zwei Generationen dauern, bis sich das ändert, wenn überhaupt.
Mit diesem Denkmuster seid ihr unzufrieden?
Ich persönlich habe den Eindruck, dass wir uns manchmal dadurch Probleme erst schaffen. Wir diskutieren alles national aus. Und dann haben wir schrecklich viel damit zu tun, zwischen all diesen nationalen Positionen, die wir konstruiert haben, Gemeinsamkeiten zu finden. Man könnte sich viel ersparen, wenn die Analyse eines Problems und die Diskussion über verschiedene Optionen in einem gemeinsamen Rahmen stattfinden würden. Ich hatte mal das Vergnügen, im europäischen Jugendforum zu sitzen. Die Vertreter der nationalen Verbände hatten da zu Hause Erfolge vorzuweisen, mussten ein bestimmtes Image befriedigen und sich durchsetzen. Wenn wir diesen Schritt der nationalen Meinungsbildung und Konsensfindung in bestimmten Bereichen auslassen würden, visionär und verrückt gedacht, dann hätten wir es doch viel leichter! Aber das ist natürlich bei vielen Sprachen und fehlenden gemeinsamen Medien bestenfalls Zukunftsmusik. Dennoch kann man versuchen zu zeigen, wie spannend und bereichernd es sein kann, sich an unterschiedlichen individuellen Wahrnehmungen und Herangehensweisen abzuarbeiten, ohne alles immer gleich durch ein nationales Sieb zu drücken. Wir wollen, im Rahmen unserer Möglichkeiten, einen Anfang machen.
Ihr verfolgt eine ganze Reihe von Projekten. Zwei relativ große sind My Europe und Open Fora. Was hat es damit auf sich?
My Europe ist ein europäisches Kurzfilmfestival. Wir suchen aus ganz Europa Filme, die sich mit vergleichbaren Themen beschäftigen, nehmen die besten, zeigen sie an möglichst vielen Orten und stellen sie Partnerorganisationen zur Verfügung.
Und Open Fora?
Open Fora entstand aus der Frage: Wie kriegen wir es hin, dass sich sehr unterschiedliche Leute unterschiedlichen Alters gemeinsam mit etwas beschäftigten? Die Grundidee war dann ein Format, bei dem 20 oder 25 Leute, die sich für ein Thema interessieren, ein Wochenende lang zusammenkommen und sich intensiv darüber austauschen. Es gibt bewusst keine Unterscheidung zwischen Referent und Zuhörer, sondern nur Teilnehmer.
Ihr wollt ganz unterschiedliche Leute zusammenbringen. Aber ist nicht auch euer Projekt am Ende ein Elitenprojekt? Wie könnte man das ändern?
Eigentlich ist es dringend notwendig, das zu ändern. Das Problem ist, dass das schwierig ist. Auch unsere Veranstaltungen laufen auf Englisch. Machen wir uns nichts vor: 85 Prozent der EU-Bevölkerung sind damit vor der Tür. Selbst wenn heute viele Europäer auf Englisch ein Bier bestellen können, nehmen die nicht an so einer Veranstaltung teil. Das ist einfach illusorisch. Aber auch auf andere Art ist das ein Elitenprojekt: Man trifft bei den Open Fora immer auf eine bestimmte Sorte Mensch. Kürzlich konnten wir das ausnahmsweise auch mal ändern, bei einer Veranstaltung in Landau in der Pfalz. Wir haben bewusst eine kleine Stadt ausgesucht für ein Projekt zum Europäischen Jahr der Freiwilligenarbeit, weil wir dachten: Da sind wir was besonderes, nicht wie in Berlin. Das hat auch funktioniert. Es gab gleichzeitig einen „Tag der Vereine“, so dass in der Fußgängerzone neben den internationalen Gruppen, die wir eingeladen hatten, auch 40 Landauer Vereine mit Informationstischen standen. Außerdem zeigt sich: Immer bei Veranstaltungen, die inhaltlich relativ flach waren, zum Beispiel wenn es darum geht, zusammen zu feiern, konnten wir Kontakte knüpfen. Damit haben wir es bisher am weitesten geschafft, rauszukommen aus diesem engen Europa-Milieu, aus diesem Raumschiff.
Wollt ihr das noch weiterführen?
Open Fora hieß in der Vergangenheit normalerweise: Wir fahren irgendwohin, sitzen in einem Raum, haben keinen Kontakt zu lokalen Leuten und machen dann einen Stadtrundgang. Ansonsten könnte die Veranstaltung auf dem Mond stattfinden. Ich glaube, es hat sich durchaus bewährt, viele Leute aus ganz Europa in eine kleine Stadt zu bringen, so dass die die Stadt das als etwas Besonderes wahrnimmt. Dem Modell werden wir wohl treu bleiben.
Was habt ihr für die Zukunft geplant?
My Europe ist im Kanal. Und wir haben uns vorgenommen, uns mit Europa und der Krise zu beschäftigen. Was bedeutet das für die Zukunft der EU? Was ist mit dem Problem der verlorenen Generation und den Leuten, die in Griechenland oder in Spanien auf der Straße sind? Inwieweit gibt es auch auf diese Situation in verschiedenen Ländern so etwas wie europäische Antworten? Die Idee ist, mit Partnern zu verschiedenen Aspekten dieses Themas Veranstaltungen zu machen. Wir wollen damit anfangen, dass wir im September nach Athen fahren und die Demonstranten besuchen. Außerdem planen wir für 2012 fünf Veranstaltungen über Erinnerungskultur in verschiedenen Ländern.
Wie können sich Leute bei euch engagieren?
In Berlin wollen wir alle zwei Monate Abendveranstaltungen machen über die Revolutionen im europäischen Umfeld. Im September wollen wir uns mit Belarus beschäftigen, danach mit einer der arabischen Revolutionen. Wenn jemand mithelfen möchte, ist er hochwillkommen! Das gleiche gilt auch für die zuvor genannten Projekte. Man kann uns natürlich auch ansprechen und sagen: Ich kann dieses oder jenes – könnt ihr mich brauchen? Und wenn jemand eine Idee hat, die er gerne verfolgen würde, können wir gemeinsam überlegen, Kontakte knüpfen und vielleicht einen Projektantrag machen. Die Leute sollen das machen, wofür sie Motivation haben, alles andere funktioniert sowieso nicht.
Ein Interview, erschienen bei Café Babel