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Drei Gründe zu wählen

Die Europawahl steht unmittelbar vor der Tür. Bisher lag die Wahlbeteiligung immer weit hinter der von Bundestagswahlen zurück. Hier sind drei wichtige Gründe, dies zu ändern und zur Wahl zu gehen:

Erstens: Staatskunst allein kann die EU nicht voranbringen

Wenn es um die EU geht, schauen die Medien auf die Staats- und Regierungschefs. Das ist normal, denn sie sind bekannt. Am Beispiel konkreter Personen lassen sich Geschichten zuspitzen und spannend erzählen. Schließlich ist die EU ja auch ganz wesentlich das Ergebnis der hartnäckigen Arbeit unbeirrbarer Männer, bisher seltener Frauen, in politischen Schlüsselpositionen.

Auch nationale Interessen verfolgt man im heutigen Europa langfristig am besten in enger Abstimmung mit den Nachbarn. Gleichzeitig jedoch repräsentieren Regierungsmitglieder zunächst einmal ihre jeweiligen Mitgliedsstaaten. Im Ergebnis müssen sie nationale Forderungen postulieren und gleichzeitig europäische Lösungen produzieren. Damit dabei vor dem jeweiligen heimischen Publikum keiner das Gesicht verliert, findet die Suche nach Kompromissen hinter verschlossenen Türen statt.

Das heißt im Ergebnis: Regierungszusammenarbeit allein kann eine so große, so vielfältige und so eng miteinander verwachsene Union auf Dauer nicht erfolgreich zusammenhalten. Sie kann kaum Innovatives produzieren. Sie feiert sich in Verlautbarungen, auch wenn Erfolge ausbleiben. Sie stellt sich dar als intransparentes System, das kaum in der Lage ist, Vertrauen aufzubauen. Die Tatsache, dass die AfD der EU das Parlament nehmen möchte, um sie zu schwächen und zum Spielball nationaler Machtpolitik zu machen, bestätigt dies nur.

Jede Stimme bei der Europawahl ist eine Stimme für eine EU, die nicht allein von den Interessen und Machtspielen der nationalen Regierungen abhängt.

Zweitens: Das Parlament kann belastbare Gemeinsamkeiten schaffen

Vertrauen braucht Transparenz. Loyalität setzt voraus, dass man sich einbezogen fühlt. Parlamente wurden einst erdacht, um beides zu ermöglichen. Vertreterinnen und Vertreter aller Gruppen eines Gemeinwesens, mit all ihren Prägungen, Ideen und Interessen, begegnen sich auf Augenhöhe. Strikte Regeln verteilen nicht nur Rederechte, sondern stellen auch sicher, dass alle gehört werden. Die Zusammensetzung der politischen Vertreterinnen und Vertreter im Saal macht Mehrheitsentscheidungen repräsentativ und sorgt für Akzeptanz.

Nur wer weiß, dass seine Positionen gehört wurden, wird das Ergebnis mittragen. Wahrscheinlich ist die Urheberrechtsreform kürzlich deshalb auf so bitteren Protest gestoßen, weil kaum öffentliche Debatten stattfanden, in denen die Bedenken der Kritiker in für alle nachvollziehbarer Weise besprochen worden wären. Auch die gegenwärtige Lage in Großbritannien illustriert, wozu es führen kann, wenn Regierungen hinter verschlossenen Türen geräuschlos Politik zu machen versuchen. Das Fehlen parlamentarischer Beteiligung bei den Verhandlungen mit der EU sorgt dafür, dass Entscheidungen der Regierung May am Ende für die Abgeordneten und das Volk nicht nachvollziehbar sind.

Es geht aber um mehr als um Transparenz. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte im Europäischen Parlament schafft Gelegenheit zum Querdenken und Raum für Zusammenarbeit. Anders als im Rat profiliert sich hier in der Öffentlichkeit, wer breite Mehrheiten zusammenbringt und nicht, wer möglichst stur auf eigenen Positionen beharrt. Es zählt eher Überzeugungskraft, als die Bedeutsamkeit der jeweiligen heimischen Machtbasis.

Deshalb fördert jede Stimme bei der Europawahl europäische Ansätze und Lösungen, deren Wert darin liegt, dass sie gemeinsam, transparent und unter Beteiligung aller erarbeitet wurden.

Drittens: Wir Wählerinnen und Wähler können das Parlament besser und damit mächtiger machen

Das Europäische Parlament wird in seiner Macht und Bedeutung massiv unterschätzt. Weite Bereiche der Wirtschafts-, Verbraucher- und Handelspolitik haben die Mitgliedsstaaten auf die europäische Ebene verlagert, um gemeinsam bessere Politik machen zu können. Auch weite Bereiche der Innen- und Justizpolitik werden, soweit sie grenzüberschreitende Bedeutung haben, gemeinsam geregelt. Fast kein Gesetz und kein internationales Abkommen zu diesen Fragen tritt in Kraft ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments. Auch in anderen Bereichen, wie der Sicherheits- und Außenpolitik, erarbeiten sich die Abgeordneten Einfluss. Vor allem aber kommt die Kommission nicht ohne Zustimmung des Parlaments ins Amt und muss sich dessen Kontrolle stellen. Auch bei den Ausgaben der Union, zuletzt ca. 130 Mrd. Euro pro Jahr, entscheidet das Parlament gleichberechtigt mit dem Rat.

Natürlich gibt es Schwachstellen. Dennoch hat die EU heute de facto ein parlamentarisches System wie ein Föderalstaat und das Europäische Parlament ist ein Machtpol in der gemeinsamen Politik. Insofern ist das Image einer letztlich eher symbolischen Institution von der realen Entwicklung längst überholt worden, hinkt die öffentliche Wahrnehmung hinter der tatsächlichen Bedeutung massiv hinterher.

Woran es heute am meisten fehlt, ist eine aktive, die Bürger ansprechende, ihre Wünsche und Befürchtungen aufgreifende und der Kommission sowie den Regierungen selbstbewusst gegenübertretende sorgfältig ausgewogene Politik aus dem Parlament heraus. Das Parlament muss in die historisch betrachtet noch recht neuen großen Schuhe hineinwachsen. Je mehr Abgeordnete wir hineinwählen, die dieser neuen gewachsen sind, desto schneller kann dies gelingen.

Deshalb ist es wichtig, mit der eigenen Stimme dazu beizutragen, dass aus dem Parlament eine gesamteuropäische Volksvertretung wird, an der kein Weg vorbeiführt.

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz