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Nachruf auf Jacques Delors

Die Situation 1985 schien aussichtslos: Seit der Ölkrise über zehn Jahre zuvor ging in Europa nichts voran, man sprach von der „Eurosklerose“ wie von einer schlimmen Krankheit. Dabei waren noch nicht einmal die 1957 gesetzten Ziele, einen Binnenmarkt zu schaffen, umgesetzt, der Plan einer europäischen Währung bis 1980 war nicht aufgegangen. Frau Thatcher schlug mit der Handtasche um sich und französische Bauern warfen LKW auf Autobahnen um aus Protest gegen einen Beitritt Spaniens und Portugals.

Er gehörte zu den ersten direkt gewählten Europaabgeordneten, war danach Berater des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand und dessen Wirtschafts- und Finanzminister, bevor er eine „Mission impossible“ übernahm: Die Leitung der Europäischen Kommission.

Durch Entschlossenheit und kluges Handeln brachte er Europa wieder in Bewegung. Durch Betonung der Idee des schrankenlosen Binnenmarktes konnte er als Sozialist ausgerechnet die britische Premieministerin Thatcher für Reformen gewinnen und erreichte die „Einheitliche Europäische Akte“, eine fundamentale EU-Reform, die die Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 auf die Tagesordnung setzte. Mit seinem Delors-Plan legte er das Stufenkonzept vor, nach dem dann auch tatsächlich der Euro eingeführt wurde. Die Wiedervereinigung Deutschlands sah er als europäische Herausforderung und Möglichkeit, als man sie in Paris noch mit nationaler Brille zu verhindern suchte.

In seiner zweiten Amtszeit kam es mit dem Vertrag von Maastricht zur Gründung der Europäischen Union (und damit zurZusammenfassung eines kaum noch überschaubaren Wirrwars an Gemeinschaften und Kooperationsprojekten und einem institutionellen Dach.) Die Einführung der Gemeinschaftswährung wurde vorbereitet, außerdem kam es zu den Beitritten von Schweden, Finnland und Österreich.

Die Möglichkeit, als Präsidentschaftskandidat in die französische Politik zurückzukehren, schlug er aus und blieb stattdessen seinem Lebensthema Europa treu.

Während seiner gesamten Amtszeit setzte er sich nicht nur für die Sicherung sozialer Rechte auf europäischer Ebene ein, er war und blieb vor allem auch ein Vorkämpfer für entschlossenes gemeinsames Handeln im Angesicht von Krisen und für demokratische Verfahren und Abläufe in der Europäischen Union.

Der Leitspruch des heute verstorbenen „Ehrenbürgers Europas“ gilt heute so wie seit 1951: „Europe, soyons audacieux“ – Europäer, lasst uns wagemutig sein!

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz