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Gemessen an seinem Ziel ist der „Brexit“ längst gescheitert

Auch wenn ich ständig anderes lese und höre und in den Talkshows anderes zum Besten gegeben wird: Ich kann mir kaum noch vorstellen, dass der „Brexit“ am 29. März um 23 Uhr stattfindet.

Die britische Regierung ist auf ganzer Linie gescheitert mit dem Versuch, die EU mit einer Mischung aus Drohung, Chuzpe, Hilfeersuchen und aktiven Spaltungsversuchen zur Aufgabe ihrer Grundprinzipien zu zwingen. Und May bleibt nichts anderes, als gute Miene zu machen zwecks Schadensbegrenzung.

Sie steckt nun in dem Dilemma, das sie von Anfang an verleugnet hat. Die meisten Briten (einschließlich des Oppositionsführers Corbyn) haben dies immer noch nicht verstanden. Und niemand, der es verstanden hat, hat genug Rückgrat, der Bevölkerung die eigene Lage nüchtern vor Augen zu führen. Was erklärbar ist damit, dass das zu Verstehende in der Selbstsicht eines ehemaligen Weltreichs unfassbar erniedrigend erscheint.

Großbritannien hat dank der Geschlossenheit der EU27 bei einem Austritt nur zwei grundsätzliche Optionen (und beliebige Kombinationen dazwischen), die beide ausschließlich große Nachteile bringen.
– Man kann künftig eigene Gesetze im wirtschaftlichen Bereich machen, wenn man das möchte. Dann jedoch verliert man den freien Zugang zum europäischen Markt, wo dann andere Regeln gelten, was Kontrollen und Bürokratie erforderlich macht. Man kann auch eigene Zoll- und Handelsabkommen aushandeln mit dem Rest der Welt. Die werden aber aller Voraussicht nach schlechter sein als jene, die man als EU-Mitglied in Anspruch nimmt (und keinesfalls besser, wie man es der Bevölkerung versprochen hat). Und man wird dann die Kontrolle über Nordirland weitgehend aufgeben müssen.
– Alternativ kann man Recht und Zölle der EU auch in Zukunft übernehmen, um Großbritannien zusammen zu halten und den ökonomischen Schaden zu begrenzen. Dann jedoch unterwirft man sich EU-Recht und den von der EU mit anderen Weltmächten/Handelsblöcken/Staaten getroffenen und künftig zu treffenden Vereinbarungen ohne jede Mitsprache. Was auch das Gegenteil dessen ist, was man der Bevölkerung versprochen hat.

Der gewünschte Brexit, der Großbritannien unabhängiger von den anderen Europäern und dazu noch wohlhabender machen sollte, ist gescheitert. Im Prinzip windet sich das britische Parlament ob der Frage, in welchen Fuß man sich lieber schießen möchte. Zunächst bis 11. Dezember, wahrscheinlich länger. Aber wird man am Ende wirklich abdrücken?

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz