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Diskussion auf der Buchmesse über Protestbewegungen

„Ideen, die die Welt bewegen“ unter diesem Motto steht die diesjährige Frankfurter Buchmesse, die dieses Jahr besonders den norwegischen Ehrengast in den Mittelpunkt stellt. Welche Ideen bewegen Europa? An vielen Orten Europas formiert sich aktuell regierungskritische Opposition in Straßenprotesten. Am Beispiel von Frankreichs „Gelbwesten“, Polens Anti-PiS-Demonstranten und der Frankfurter Bürgerinitiative Pulse of Europe wurde die politische Bedeutung von Protestbewegungen in Europa ausgeleuchtet. Für die EBD nahm Vorstandsmitglied Frank Burgdörfer auf dem Panel teil.

Prof. Dominique Reynié (Leiter der Fondation pour l’innovation politique und Professor für Politikwissenschaft an der Sciences Po Paris) betonte, dass einerseits die nachlassende Bindewirkung der politischen Parteien und andererseits die Digitalisierung der Kommunikation und der Koordination begünstigten, dass Meinungsäußerung vermehrt „auf der Straße“ stattfindet. Dort träfen nun sehr unterschiedliche Gruppierungen aufeinander und zwar in einer Konstellation, die nicht dem alten Rechts-Links-Schema entspreche. Vielmehr verlaufe die Polarisierung zwischen einer liberalen, weltoffenen und EU-freundlichen Position einerseits und einer defensiven, auf nationale Abschottung und Einfachheit bedachten Position andererseits. Vom traditionellen europäischen Parteienspektrum sei diese Konstellation kaum abgebildet.

Piotr Buras, der Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations, blickte auf die Situation in Mittelosteuropa, besonders in Polen. Hier sei die Gesellschaft besonders tief zerrissen, weil sich Transformationsgewinner und -verlierer in ihrer Interpretation der letzten 30 Jahre besonders deutlich unterschieden. In Polen sei die Situation zudem überaus paradox, weil sich mit der Partei für Recht und Gerechtigkeit eine politische Gruppierung an der Macht befinde, die zur staatlichen Politik macht, was andernorts Gegenstand von Straßenprotesten sei. Gleichzeitig sei aber dieselbe Gruppierung zumindest bisher bemüht, Maß zu halten, das ökonomische Erstarken des Landes nicht zu gefährden und die Angriffsfläche für oppositionelle Bewegungen nicht unnötig groß werden zu lassen.

EBD-Vorstandsmitglied Frank Burgdörfer

Der Einschätzung des Moderators Manfred Sapper (Chefredakteur der Zeitschrift OSTEUROPA), dass europafreundliche Bewegungen bislang nicht grenzüberschreitend, sondern weitgehend isoliert in ihren Nationalstaaten agierten, sei eine Schwäche, widersprach EBD-Vorstandsmitglied Frank Burgdörfer: Wo die EU nicht als ein Akteur mit einer klaren, pointierten Position auftrete, könnten sich auch keine grenzüberschreitenden Bewegungen positiv oder negativ zu konkreten Politiken formieren. Spannend in diesem Zusammenhang seien die „Fridays for Future“, die mit einem konkreten Anliegen sehr wohl in unterschiedlichsten Ländern agierten. Bemerkenswert sei doch aber, dass auf dem ganzen Kontinent die Europafahne als gemeinsames, überall akzeptiertes Symbol für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und gute Regierungsführung akzeptiert und genutzt werde. Der „urwüchsige“ Charakter unterschiedlicher Bewegungen in unterschiedlichen Ländern mit einer klaren gemeinsamen Zielrichtung deute letztlich auf die Stärke und die Vitalität des Europäischen Gedankens hin.

Alle auf dem Podium waren sich einig, dass politische Bewegungen nicht nur ein Indikator großen politischen Interesses, sondern auch ein Hinweis auf Funktionsmängel des politischen Systems einschließlich der Parteien seien. Engagement dieser Art sei meist eher kurzfristig angelegt. Eine vitale Zivilgesellschaft setze aber eigene Impulse, bringe die Politik unter Zugzwang und könne umgekehrt auch helfen, Gesellschaften auf erforderlichen Wandel vorzubereiten und für Akzeptanz zu werben. Burgdörfer sah darin auch den Sinn und den Wert der Europäischen Bewegung und ihrer Mitgliedsorganisationen gut beschrieben. Er betonte dass alle, Politik wie gesellschaftliche Kräfte, in Zeiten massiver Umbrüche herausgefordert seien, zeitgemäße Formen der Kommunikation und der Mobilisierung zu nutzen, um die Gesellschaft insgesamt voranzubringen und Vertrauen in die Zukunft möglich zu machen.

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