Norwegen und die Schweiz gehörten doch auch nicht zur EU, sondern hielten sich konsequent fern von ihr. Warum, so werde ich immer wieder gefragt, seien denn die beiden Länder kein Modell für das Vereinigte Königreich: Enge Partner und wohlhabend ohne Mitglied zu sein?
Die Antwort: Auch die Beziehungen dieser Nichtmitglieder sind weit enger als diejenigen, die einige Brexiteers sich wünschen und die nach ihrer Auffassung das britische Volk beschlossen hat. Es gilt aber auch: Diese Länder winden und verbiegen sich, um sehr widersprüchliche Erwartungen ihrer Bevölkerungen irgendwie zu erfüllen. Darin könnten sie vielleicht doch ein Vorbild sein.
Norwegen, Island und Liechtenstein gehören zum Binnenmarkt mit den vier Grundfreiheiten, wenden entsprechend EU-Recht an (mit ganz wenigen Ausnahmen), sind insofern praktisch voll integriert und zahlen Mitgliedsbeiträge (Norwegen gehört pro Kopf gerechnet zu den größten Nettozahlern – ohne Mitglied zu sein). Politische Mitsprache haben sie keine.
Man kann das begründen als Kompromiss: Einerseits hat man die wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft, andererseits ist man formal draußen. Der Preis, dass man sich einseitig den Brüsseler Entscheidungen unterwirft, wird gezahlt um das jeweilige Land nicht zu spalten. Das ganze nennt sich Abkommen der Europäischen Freihandelszone EFTA mit der EU über den EWR (Europäischen Wirtschaftsraum, engl. EEA European Economic Area)
Die Schweiz hat dieses Abkommen mit ausgehandelt, die Bevölkerung hat es dann aber abgelehnt. Deshalb lässt die Schweiz die EFTA Mitgliedschaft ruhen, um die Partner nicht zu behindern und hat ein kompliziertes System einer Reihe von „Bilateralen Verträgen“ für sich allein direkt mit der EU ausgehandelt.
Einerseits erweckt dieses System den Eindruck, die Schweiz habe Sektor für Sektor eine maßgeschneiderte Sonderregelung erhalten. Andererseits umfassen diese Verträge in ihrer Gesamtheit im Wesentlichen nichts anderes als das, was Norwegen, Liechtenstein und Island im Rahmen des EWR mit der EU vereinbart haben. Außerdem sind die Einzelabkommen verknüpft über sogenannte Guillotine-Klauseln: Bricht oder kündigt die Schweiz eines der Abkommen, sieht die EU alle als gekündigt an. Auf diese Weise verhindert die EU wirksam das, was man bei Großbritannien „Rosinenpickerei“ nennt.
Übrigens wehrt sich Norwegen mit Händen und Füßen dagegen, dass Großbritannien in die EFTA (die es mal als Gegenmodell zur damaligen EWG initiiert und dann verlassen hatte, weil die letztgenannte besser funktionierte) zurückkehren und in den EWR-Vertrag einsteigen könnte. Der Grund: Formal hat Norwegen keinen Einfluss auf Entscheidungen der EU; obwohl es von europäischem Recht genauso betroffen ist wie die Mitglieder. Allerdings pflegt es enge Beziehungen, insbesondere zu den Regierungen Dänemarks, Schwedens und Deutschlands. Die norwegische Botschafterin hat im Rahmen einer Veranstaltung der EBD mal erzählt, wie das abläuft: Wenn eine wichtige EU-Verordnung zu verabschieden ist, die etwas enthält, das der Regierung in Oslo Schwierigkeiten machen könne, dann rufe der norwegische Wirtschaftsminister eben seinen deutschen Kollegen an, erkläre dem das Problem und bitte um Hilfe. „Und dann erledigt der Peter (Altmaier) das effizient und unkompliziert. Niemand will uns Norwegern Probleme machen, bei berechtigten Anliegen helfen die anderen“. Dieser gute Wille könne aber verlorengehen, wenn die zwölf mal größere Großbritannien seine Minister losschickte und die dort im Namen der EFTA-Staaten aufträten. Der chronische Krawall der Briten sei nicht im nationalen Interesse Norwegens.