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Nachruf auf Wolfgang Schäuble

Einst hatte er seiner Frau versprochen, nur „für wenige Jahre“ in den Bundestag zu gehen, daraus wurde mit über 50 Jahren die längste Mandatszeit in der deutschen Geschichte.

Er hat Helmut Kohl mit Fleiß, Akribie und Sachkenntnis innenpolitisch den Rücken frei gehalten. Bis ihm die einmalige Aufgabe zufiel, mit dem Einigungsvertrag alle staatlichen Aufgaben und Funktionen der untergehenden DDR so zu regeln, dass mit dem 3. Oktober das Leben im den damals „neuen Ländern“ so geordnet und rechtssicher weiterging, wie es in Anbetracht der politischen Weichenstellungen eben möglich war. Eine Aufgabe ohne Vorbild, die er mit Bravour meisterte.

Viele Beobachter gehen davon aus, dass es seine Rede im Bonner Wasserwerk war, die mit den Ausschlag gab, dass Berlin wieder Regierungssitz geworden ist.

Er ist immer ein leidenschaftlicher Europäer gewesen, fiel schon als junger Abgeordneter mit Positionierungen und Papieren auf, die weit in die Zukunft ragten. Er verhandelte insbesondere den Maastrichter Vertrag mit. Als Finanzminister half er, die Eurozone durch die Turbulenzen der Weltfinanzkrise zu steuern. Vielen war er dabei zu hart, aber im Ergebnis hat seine Strategie funktioniert.

Wer so viel macht, macht auch Fehler. Als Innenminister hat er jahrelang nötige Reformen der Flüchtlingspolitik verhindert, weil das Dublin System doch im deutschen Interesse zu sein schien – bis es uns um die Ohren flog. Von den fragwürdigen Spendenpraktiken der Kohljahre gelang ihm keine Distanzierung. Er galt als ungeduldig und manchmal auch jähzornig. Aber die wenigen Male, die ich das Glück hatte, mit ihm zu sprechen, habe ich einen nachdenklichen, selbstkritischen, humorvollen Menschen erlebt.

Er war ein Konservativer, der wusste, dass man die Welt fortwährend gestalten muss, um zu erhalten, was wichtig ist. Ein überzeugter Demokrat und Anhänger des Parlamentarismus, der anderen Positionen nie den Respekt verweigerte und der auch immer wieder lächelnd erzählen konnte, wie seine Töchter sein Denken verändert und vorangebracht hätten.

Größte Achtung nötigt der Umgang mit seiner Behinderung in Folge eines feigen Anschlags ab. Nach einer kurzen dunklen Phase war er optimistisch und diszipliniert, ertrug seine Situation ohne Bitterkeit und tat alles. Um weiterhin der Politik, seiner großen Leidenschaft, nachgehen zu können.

Unser Land und Europa verlieren einen der ganz Großen, wohl den Größten, der niemals Kanzler geworden ist.

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz