Die Flucht auch der Bundesregierung vor verantwortlichen, die Situation wirklich klärenden Lösungen hatte im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise eine labile Situation an den Finanzmärkten entstehen lassen, die der damalige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, 2012 zupackend und mutig beendet hat. Gerade für Berlin war das aufgrund eigener Angst vor der AfD eine Erleichterung, auch deshalb hat man sich still verhalten.
Über die Jahre sind Ankaufprogramme der Zentralbank zur so ursprünglich nicht geplanten Gewohnheit geworden. Sie erfüllen nicht nur ihren geldpolitischen Zweck, sondern stabilisieren auch die Währungsunion. Gleichzeitig kann man als Regierung bequemerweise jede Kritik daran einfach an sich abperlen lassen, schließlich sei die EZB ja unabhängig.
Dass das deutsche Verfassungsgericht dieses durchsichtige Spiel beenden will, ist im Ansatz nachvollziehbar. Es ist sehr gut begründbar, dass politische Abwägungen nicht an eine demokratisch nicht kontrollierte Institution wie die EZB ausgelagert werden sollten. Und zwar unabhängig davon, ob man darin gleich eine vertragswidrige Kompetenzüberschreitung sieht oder nicht. Dass die deutschen Verfassungsrichter dabei, soweit es ihnen irgendwie möglich erscheint, direkt auf die EZB losgehen, ist allerdings unangemessen.
Die Zentralbank hat die Situation nicht zu verantworten und wäre in der fraglichen Angelegenheit leicht und überaus wirksam auch wieder deutlich zu entmachten. Man müsste ihr seitens der Politik schlicht einen Teil der Verantwortung bei der Krisenbewältigung von den Schultern nehmen, indem man selbst wirksame Maßnahmen ergreift.
Dass Karlsruhe in geradezu rüpelhafter Weise auch gleich noch ein paar offene Rechnungen mit dem EuGH zu begleichen sucht, ist dann aber grotesk. Als wäre es (jenseits verfassungstheoretischer Dogmatik und persönlicher Eitelkeiten) von irgend einer konkreten Relevanz, wer sich als wichtigste Richter auf dem Kontinent fühlen darf.
Tatsächlich geht es um essentielle Probleme, hier die Verhinderung von Zusammenbrüchen ganzer Volkswirtschaften, bei denen immense soziale Verwerfungen und gravierende politische und ökonomische Folgen auch für Deutschland drohen.
Vor diesem Hintergrund ist das egozentrische und engstirnige Gebahren gleich mehrerer oberster deutscher Verfassungsorgane aus Sicht der EU-Partner kaum noch nachvollziehbar und vor allem an Arroganz und Ignoranz kaum zu überbieten. Wer so agiert, treibt Salvini und Le Pen die Wähler zu.
Gerade weil Deutschland auf das Vertrauen seiner vielen großen und kleinen Partner wirtschaftlich und politisch unverzichtbar angewiesen ist, muss die deutsche Europapolitik dringend aktiver und konstruktiver werden.
Die Verbindung aus Coronakrise, Ratspräsidentschaft und Abschluss der mittelfristigen Finanzplanung baut immensen Druck auf die Bundesregierung auf, sich dieser Herausforderung endlich zu stellen.
Merkwürdigerweise bekommt das aber kaum jemand mit, beschäftigt es weder unsere Politiker (zumindest nicht wahrnehmbar), noch unsere Medien. Für die Realisierungschancen und die spätere Akzeptanz einer angemessenen politischen Antwort ist das mehr als ungünstig.