Anlässlich des EBD Dialogs EU-Türkei vom 14. April habe ich als Vorstandsmitglied der EBD die Erstkommentierung zum Thema „Die EU-Türkei-Beziehungen in Zeiten der Flüchtlingskrise“ übernommen. Vor knapp 200 Gästen in der türkischen Botschaft plädierte ich in seiner Stellungnahme für eine konsequente Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Es ist meine Aufgabe, etwas im Namen der Europäische Bewegung Deutschland zu unserer Diskussion sagen. Dies ist in Anbetracht der aktuellen Situation nicht einfach. Würde ich mich hier und jetzt zu Details der Flüchtlingsfrage oder über Satire äußern, dann gäbe es voraussichtlich schnell Widerspruch aus dem Kreis unserer 243 Mitgliedsorganisationen. Bei der EBD lernt man, sich auf Grundsätzliches und Wesentliches zu fokussieren. Das möchte ich auch hier tun.
Der Präsident der EBD, Rainer Wend, hat heute früh einen Europapolitischen Einwurf veröffentlicht, in dem er zu einem ruhigen und sachlichen Ton auffordert. Diesem Gedanken weiterdenkend, muss man im Umkehrschluss folgern, dass es uns daran fehlt: An Ruhe, an überlegtem Handeln.
Wir in der EBD mit ihrem weiten Spektrum an Positionen, Interessen und Meinungen wissen, wie wichtig ein verlässlicher Rahmen dafür ist, dass man ruhig und sachlich bleiben kann, wenn es schwierig wird. Man braucht dafür Vertrauen. Solches Vertrauen gründet auf Verlässlichkeit und auf Vorhersehbarkeit. Wir Deutschen verfassen hier mit Vorliebe Regeln, aber die Wirkung ist auch anders zu erreichen. Was gebraucht wird ist ein fester, verlässlicher Rahmen, der auch beim Streit Orientierung gibt hin zu einer Lösung.
An einem solchen Rahmen, der es möglich machen könnte, ruhig und zielorientiert zu bleiben, fehlt es gegenwärtig, und das gleich auf mehreren Ebenen. Ich möchte drei davon ansprechen.
Da wäre zunächst die interne Zusammenarbeit der EU. Unsere Flüchtlingspolitik war auf alles vorbereitet, nur nicht auf den Ernstfall, dass tatsächlich viele Flüchtlinge kommen könnten. Nach dem Prinzip Hoffnung haben wir geregelt, was leicht zu regeln war und Kontroverses liegen lassen. Es ist ja nicht so, dass die Schwächen der Dublin-Regeln nicht allen bekannt gewesen wären. Es wurde hier auf dem Podium sehr richtig darauf verwiesen, dass wir auf lange Zeit damit zu tun haben werden, dass Flüchtlinge nach Europa kommen und dass sich alle Mitgliedsstaaten dieser Herausforderung werden stellen müssen. Gerade in Deutschland muss man an dieser Stelle festhalten, dass die Einsicht in europäische Notwendigkeit zu spät kommt. Wer Europa will, muss auch schwierige Themen rechtzeitig behandeln, um auf Krisen vorbereitet zu sein.
Zum zweiten möchte ich die Zusammenarbeit mit der Türkei ansprechen. Gerade hier erleben wir ja ein Übermaß an Verärgerung, Unruhe und Spannungen. Als Europäer müssen wir uns hier fragen, ob wir daran nicht auch Mitverantwortung tragen. Wir sind es in den letzten Jahrzehnten gewese, die Verlässlichkeit verweigert, Vorhersehbarkeit verhindert und damit Vertrauen zerstört haben. Daran, dass die europäisch-türkischen Beziehungen sind wie sie sind, tragen wir eine Mitschuld. Vielleicht führt der aktuelle Sachzwang zur Zusammenarbeit auch dazu, dass wir lernen, mit der gegenseitigen Abhängigkeit besser umzugehen. Vielleicht kann das der Anfang einer konstruktiveren Zusammenarbeit werden, die sich dann aber in vielen anderen Bereichen fortsetzen und die Diskussion über unser Verhältnis beleben muss. Zumal wir anerkennen müssen, dass die Türkei sich in der Flüchtlingsfrage eher den europäischen Prinzipien und Standards entsprechend verhält, als einige Mitgliedsstaaten.
Die Europäische Bewegung ist kein Projekt in den Grenzen der EU, sondern des Europarats. Wir haben Schwesterorganisationen in ganz Europa einschließlich der Türkei und befassen uns mit den Beziehungen all dieser Länder untereinander. Vor etwa einem Jahr jährte sich zum Zeitpunkt einer Zusammenkunft der Europäischen Bewegung International in Riga ein schlimmes Ereignis in Ostanatolien zum einhundertsten Mal. Alle waren angespannt, als unsere armenischen Freunde eine Resolution auf die Tagesordnung setzen, aber gemeinsam haben wir es geschafft, unter Einschluss auch der Türken eine gemeinsame Position zu formulieren. Ich möchte damit illustrieren, was wir unter konstruktivem Umgang auch mit schwierigen Fragen verstehen – und außerdem auf die dritte Ebene zu sprechen kommen: Die innertürkische.
Wir sind Freunde der Türkei und Partner mutiger, europäisch gesinnter Bürgerinnen und Bürger dort. Als solche halten wir die Gültigkeit europäischer Prinzipien und Standards zum Beispiel in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit für unverzichtbar. Und möchten zudem ausdrücklich auf die Bedeutung einer aktiven und auch kritischen Zivilgesellschaft in jeder funktionierenden Demokratie verweisen.
Es gehört zu den Grundüberzeugungen unseres Netzwerks, dass Politik viel zu wichtig ist, um sie allein Politikern überlassen. Wir stehen für Einmischung und Engagement, und zwar eigenständig, kritisch und verantwortlich. Voraussetzung dafür sind illusionslose Offenheit und Verständigung darauf, wie Zusammenarbeit aussehen soll und kann. An diesem Konsens müssen wir gemeinsam arbeiten.