Zu Beginn jeder neuen Ratspräsidentschaft, also alle 6 Monate, lädt die Europäische Bewegung den Berliner Botschafter des Betreffenden Landes, dazu ein, die aktuelle Planung vor- und zur Diskussion zu stellen. Am 23. Januar nahmen neben Botschafter Emil Hurezeanu auch Richard Kühnel, Vertreter der EU-Kommission in Deutschland, Andreas Petschke, Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, und Dr. Kirsten Scholl, Leiterin der Europaabteilung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, teil.
Die später angefertigte Niederschrift meines Kommentars:
Erfreulich an den Einlassungen des Herrn Botschafters wie auch der Kommissionsvertretung sowie des Wirtschafts- und des Außenministeriums war: Sie sind allesamt sehr sachlich und nüchtern gewesen. Diese Nüchternheit ist aus Sicht der EBD unverzichtbar. Viel zu viele sprechen von 2019 als einem „annus horribilis“, einem Schreckensjahr für Europa. Dieses Denken ist gefährlich, legt es doch nahe, man könne Augen und Ohren verschließen und sich verstecken, sich zurückziehen in irgendeine heile Welt, bis alles vorbei ist.
Was wir erleben ist nicht vorrübergehend, es ist die neue europäische Realität. Wir müssen uns in ihr zurechtfinden und bewähren – und niemand weiß, ob 2020 und 2021 nicht auch noch schlimmer werden könnten. Es gilt das gut gewählte Motto der rumänischen Ratspräsidentschaft: Zusammenhalt ist unser Wert. Gerade weil die Herausforderungen groß sind, müssen wir uns unterhaken und sie gemeinsam entschlossen angehen.
Womit wir bei den konkreten politischen Inhalten wären. Zunächst: Man könnte meinen, die rumänische Ratspräsidentschaft hätte sich mit der EBD abgestimmt. Grob betrachtet tun Sie nämlich das, was wir uns wünschen. Lassen Sie mich beginnen mit dem „Brexit“: Am wichtigsten sind jetzt Ruhe und Geschlossenheit – und dass wir eine weitere Hängepartie vermeiden. Wir dürfen nicht vergessen, dass bisher nur die Bedingungen des Austritts verhandelt wurden. Die großen Herausforderungen liegen erst noch vor uns. Auch wenn sich unsere britischen Freunde gerade sehr schwer tun, erreichen wir das meiste im eigenen und in ihrem Interesse, wenn wir verlässlich und berechenbar bleiben.
Unsere veränderte europäische Realität hatte ich bereits angesprochen. Wir sind umgeben von internationalen Herausforderungen und können uns nicht mehr darauf verlassen, dass andere unsere Probleme lösen. Damit steht die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geradezu zwangsläufig ganz oben auf der gemeinsamen Tagesordnung. Gerade weil wir mit unseren Mitgliedsorganisationen tief in der Gesellschaft verankert sind, wissen wir um die besondere Herausforderung, die hier auf uns wartet. Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht populär. Aus Studien wissen wir, dass zumindest die Deutschen (aber sicher nicht nur sie) am liebsten in einer riesigen Schweiz leben würden: Im freundschaftlichen und lukrativen Austausch mit dem Rest der Welt aber unzuständig bei Schwierigkeiten. Deshalb werden wir wirkliche Fortschritte bei unserer außenpolitischen Handlungsfähigkeit nur in dem Maß erreichen können, in dem wir in der breiten Öffentlichkeit von der Notwendigkeit überzeugen können.
Gleiches gilt auch mit Blick auf die Erweiterung, auf den Westbalkan. Wir alle sind uns einig, dass diese Region mitten in der Europäischen Union stabilisiert werden muss, auch in unserem ureigenen Interesse. Und niemand bezweifelt, dass die beste, wirksamste und nachhaltigste Form der der Stabilisierung die Integration ist. Wenn wir nun aber vermeiden wollen, dass wir dieses Ziel verfehlen und unseren Einfluss in der Region gefährden, weil wir noch weitere 20 Jahre mehr reden als konkret handeln, dann müssen wir die breite politische Öffentlichkeit auch in dieser Frage hinter uns bekommen.
Ansprechen möchte ich auch das Thema Migration. Dem rumänischen Botschafter gebe ich audrücklich recht: Dies ist ein schwieriges, aber entscheidendes Thema. Herrn Kühnel, dem Vertreter des Europäischen Kommission, stimme ich ebenfalls zu: Es ist wichtig, dass wir die vorbereiteten Pakete noch vor der Europawahl verabschieden, dass wir Handlungsfähigkeit beweisen. Allerdings gehe ich nicht mit bei seiner Formulierung, wir könnten das Thema zu einem Abschluss bringen damit. Die Wahrnehmungen in diesem Bereich sind viel zu unterschiedlich, und dieses Thema ist für eine bestimmte Art der Politik auch viel zu interessant, weil sich hier Ängste schüren und Menschen mobilisieren lassen. Der Streit um Migration wird uns noch lange erhalten bleiben, da sollten wir uns keinen Illusionen hingeben.
Als fünften Punkt greife ich das Thema Schengen auf. Ich finde es vollständig nachvollziehbar und legitim, dass Rumänien seine Ratspräsidentschaft nutzt, um auf den eigenen Beitrittswunsch aufmerksam zu machen. Wir als Europäische Bewegung sehen in offenen Grenzen eine der größten Errungenschaften der europäischen Einigung, weil sie Menschen zusammenbringt, den Prozess alltagsrelevant werden lässt. Jeder Beitritt eines Landes setzt voraus, dass die nötigen Bedingungen erfüllt sind. Aber wenn sie erfüllt sind, dann hat es kein Land verdient, aus Angst vor politischen Aufwallungen andernorts schlechter behandelt zu werden, als andere. Auch hier müssen wir konsequent sein und als Europäer zusammenstehen.
Schließen möchte ich mit dem Thema Rechtsstaatlichkeit. Der Botschafter hat es in Bezug auf mehrere Länder angesprochen, ich möchte an dieser Stelle und zum Abschluss meines Einwurfs ausdrücklich auf sein eigenes Land eingehen, auf Rumänien. In den Medien ist viel darüber gesagt und geschrieben worden darüber, ob Rumänien nicht nur fähig, sondern auch geeignet sei, den Vorsitz in den Ministerräten zu führen.
Für uns als Demokraten ist Kritik etwas normales. Man kann streiten, manchmal muss man es sogar, auch über die Einhaltung von Regeln. Gerade jungen Demokratien können nur so ihre politische Kultur entwickeln. Die Rumänen streiten untereinander. Und es ist auch legitim, wenn andere Europäer Position beziehen. Das ist keine „fremde“ Einmischung. Wir gehören zusammen, wir arbeiten auf Basis gemeinsamer Verträge. Und jeder von uns weiß, dass die besten Freunde diejenigen sind, die einem wenn es nötig ist auch das sagen, was man nicht hören mag. Wenn allerdings jemand nicht der Sache und nicht der Freunde wegen kritisiert, sondern um daraus politisches Kapital zu schlagen, um Stimmung zu machen und sich selbst zu erheben, dann ist eine rote Linie überschritten. An der Stelle sollten wir alle gemeinsam einschreiten. Womit wir wieder beim Motto unserer rumänischen Freunde wären: Zusammenhalt ist unser Wert. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.