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Die EU in Zeiten von Sezessionsbewegungen

Frank Burgdörfer per Skype über Sezessionsbewegungen
Foto: Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik

Aus Bonn hatte mich die Anfrage erreicht, an einer Diskussion zum Thema „Welche Zukunft hat die EU in Zeiten von Sezessionsbewegungen“ teilzunehmen. Es handelte sich um die dritte und letzte Veranstaltung der Reihe ‚Nation – Sezession – Integration‘ der Bonner Akademie für Forschung Lehre praktischer Politik in Kooperation mit der Fachschaft Politik & Soziologie der Universität Bonn und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Veranstaltungsreihe konzentriert sich auf Fragen rund um die Nation, deren Zukunft sowie unterschiedliche Nationalverständnisse und -konzepte. Leider war es mir terminlich nicht möglich, nach Bonn zu kommen – weshalb ich neben zwei vor Ort präsenten Experten per Skype einbezogen wurde.

Warum gerade jetzt? Das war eine zentrale Frage der Studentinnen und Studenten. Warum erleben wir an vielen Orten eine „Flucht ins Kleine“, eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit, vielleicht gar Provinzialismus? In Regionen wie Schottland oder Katalonien, in Staaten wie Ungarn und Großbritannien und irgendwie ja sogar in den USA. Meine Antwort: Ich glaube nicht, dass da etwas wirklich neu entstanden ist. Regionalisten oder Nationalisten unterschiedlicher Couleur hat es immer gegeben. Neu ist allerdings die Resonanz, die sie finden. Ihre altbekannte Propaganda trifft auf eine neue Offenheit dafür und verfängt bei viel mehr Menschen.

Woran das liegen könnte? Da kommen wohl mehrere Gründe zusammen. Erstens ökomonische Abstiegsängste in Anbetracht wachsender internationaler Verflechtung und gleichzeitiger Digitalisierung. Zweitens kulturelle Verlustängste in einer sich schnell wandelnden Welt, die ein nie gekanntes Maß an Flexibilität und Offenheit zur Voraussetzung auch für individuellen Erfolg macht und in die man sich geworfen fühlt, ohne je gefragt worden zu sein. Und drittens die sozialen Medien, die ein nie gekanntes Maß an Vernetzung und Mobilisierung für kleine aber laute Minderheiten ermöglichen.

Und was sind die Konsequenzen? Der Glaube an die Unaufhaltsamkeit westlichen Denkens, an die Überlegenheit der Verbindung von Marktwirtschaft und freiheitlicher Demokratie in ökonomischer aber auch politischer Hinsicht hat fürs erste gewalte Schrammen abbekommen. Wir sind leichter angreifbar und offenkundig leichter zu verunsichern, als man dies noch vor kurzem für möglich gehalten hätte. Protest und Widerstand kommen mit Macht. Andererseits jedoch sprechen ökonomische und politische Interessen einer Mehrheit gegen den Drang zum Kleinen, zur Abschottung, zum Rückzug. Wahrscheinlich kann keine Seite sich so einfach durchsetzen.

Also werden wir Ringen müssen um die Lösung der Probleme, die Nationalisten, Sezessionisten, Populisten Auftrieb geben: Ökonomische Abstiegsängste, kulturelle Verlustängste und den richtigen, demokratischen Umgang mit den ganz neuen Möglichkeiten einer digitalen Welt. Im Idealfall lernen wir alle dabei, kommen wir weiter. Das faszinierende an unserem politischen System ist seine Lernfähigkeit: Im Zentrum steht nicht der Machterhalt eines einzelnen oder eine Gruppe, sondern das ständige Ringen um Mehrheiten und um einen gesellschaftlichen Konsens. Es liegt an uns, ob wir uns der Herausforderung gewachsen zeigen, bevor uns zu viel um die Ohren fliegt.

Siehe auch: Kurzbericht auf der Website der Bonner Akademie für Forschung Lehre praktischer Politik

 

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