Inmitten einer Krise gegen eine populäre Regierungschefin anzutreten, ist nach aller Erfahrung wenig aussichtsreich. Dazu dann noch ein paar unerträgliche Raffkes in Berlin. Die Niederlage ist also schnell erklärt. Aber dort sollte die CDU Rheinland-Pfalz in ihrer Analyse nicht stehen bleiben.
Ich finde, dass Christian Baldauf vieles sehr viel besser gemacht hat, als Julia Klöckner 2011 und 2016. Er hat mit viel Fleiß und persönlichem Einsatz den zerstrittenen Landesverband tatsächlich zusammengeführt. Er hat ihm kein (ohnehin erkennbar unrealistisches), nach vermeintlicher Medientauglichkeit ausgewähltes Schattenkabinett vorgesetzt, sondern die kommunal starke Partei tatsächlich eingebunden und erfolgreich zum Kämpfen animiert. Da wo einst für einen „Treffpunkt Klöckner“ mehrere LKW das Equipment für eine Art Town-Hall-Meeting in die Dörfer karren mussten, ist Baldauf mit den Interessierten einfach spazieren gegangen. Was wohl nicht nur Corona, sondern auch seinem sympathischen Politikverständnis geschuldet war.
Und doch erwies sich die Strategie des Landesverbandes als unzureichend. Ich sehe vier große Fehler, wobei sich der zweite und der dritte aus dem ersten ableiten und der vierte deren Wirkung noch einmal massiv verschärft hat.
- Fehlwahrnehmung der eigenen Rolle
Die CDU geht nach wie vor immer davon aus, dass sie in Rheinland-Pfalz als kompetent und vertrauenswürdig wahrgenommen wird. Sie agiert auch nach 30 Jahren in der Opposition noch wie eine Staatspartei, die es für selbstverständlich hält, dass eine Mehrheit ihr die Führung des Landes zutraut. Das ist aber erkennbar nicht der Fall, die regelmässig erhobenen Kompetenzwerte sprechen da eine sehr ernüchternde Sprache. Und ob man das mag oder nicht: Man muss damit umgehen, wenn man es ändern will. 30 Jahre nach dem Machtverlust ist es allerhöchste Zeit, sich dieser Realität zu stellen. Und nicht, wie nun schon zum siebten (!) Mal, nach jeder Wahl selbstmitleidig das Hauptproblem in Bonn/Berlin oder bei irgendwelchen gerade akuten Ereignissen zu suchen. - Fehlende Koalitionsstrategie
Mit der gesamten Kampagne überhaupt nur 30 % der Bevölkerung in den Blick zu nehmen, wenn man 50 % der Stimmen braucht, kann nicht funktionieren. Selbst eine maximale Mobilisierung der CDU bot keine Perspektive auf eine Regierungsübernahme. Zwar sah es zeitweise so aus, dass die CDU vielleicht knapp vor der SPD landen könne, ein Verlust der Mehrheit für die Ampel war aber durchgängig vor allem Wunschdenken. Zu behaupten, Christian Baldauf könne Ministerpräsident werden, war insofern erkennbar unplausibel, als es nicht flankiert war durch den Versuch, die Ampel-Koalition zu zerlegen. Was vollständig fehlte, waren attraktive Angebote an FDP und Grüne, die Seite zu wechseln. Die so hätten gestrickt sein müssen, dass diese sie hätten aufgreifen können und wollen, um gegenüber der SPD Eigenständigkeit zu demonstrieren und Dreyer unter Druck zu setzen. - Zu wenig inhaltliches Profil
Wer Vertrauen nicht bestätigt haben, sondern erringen will, muss bereit sein, sich zu exponieren und auch Risiken eingehen. (Norbert Röttgen hat mit seiner Kandidatur im letzten Jahr eindrücklich vorgemacht, wie das erfolgreich funktionieren kann). Im Landtagswahlkampf in RLP kam viel zu wenig an Ideen, an Substanz. Das lässt sich zum einen festmachen am Kandidatenduell, das hierfür eine der ganz wenigen Chancen gewesen wäre. Dort hätte man Malu Dreyer tatsächlich nur mit durchdachten Konzepten, die die bestehenden Unzulänglichkeiten im Land kontrastieren, in Bedrängnis bringen können. Zudem wirkten eine Reihe von Baldaufs Aussagen unreflektiert im Hinblick auf ihre Wählerwirkung insbesondere jenseits der CDU-Anhängerschaft, von wo er unbedingt öffentlichen Zuspruch hätte erhalten müssen, um für Dreyer gefährlich zu werden. - Fehlen einer adäquaten Online-Kampagne
Unter Corona-Bedingungen kam es vor allem auf die Online-Kampagne an. Auch die war fokussiert auf die Motivation der leicht Erreichbaren. Verbreitet wurden Baldauf-Bildchen mit türkisfarbenen Balken, modischen Filtern und Schlagworten, die Christdemokraten gefallen und niemandem wirklich auffallen. Um von einem weiteren Kreis überhaupt wahrgenommen zu werden, hätte es inhaltlicher Botschaften bedurft, die Reaktionen anderer erzwingen, die die Posts auch auf die Bildschirme von Nicht-CDU-Anhängern bringen, die für die Medien Aufgreifbares und Diskussionswürdiges liefern. Das erreichten wiederum nur einige hochnotpeinliche Kalauer, die im Sinne der Kampagne schädlich wirkten, idiotischerweise aber maximal gestreut wurden. Offenkundig fehlte es vollkommen an Bewusstsein dafür, wie wichtig der digitale Wahlkampf unter Corona-Bedingungen war – und an Leuten, die etwas davon verstehen.
Im Ergebnis konnten sich selbst die Wahlkämpfer am Ende keinen Sieg vorstellen und hofften nur noch, alles werde nicht zu schlimm kommen. Aus der Wahlforschung weiß man, dass diese Situation zwar einige wenige Anhänger an die Urnen treibt, um den Erfolg zu erzwingen, dass sie aber weit mehr Wähler demotiviert.
Angesichts der inhaltlichen Nähe hätten sicher auch weniger Leute die Freien Wähler gewählt, wenn sie den Eindruck gehabt hätten, es käme bei der CDU auf jede Stimme an.
Und es gibt noch einen Effekt, der der CDU voll auf die Füße gefallen ist: Wir beobachten eine wachsende Gruppe sehr unideologischer, ungebundener Wähler, die sich wohlfühlen, wenn sie mit dem Strom schwimmen, die also die Partei wählen, mit der sie sich am Ende als “Gewinner” fühlen können. In Umfragen äußern die sich lange unentschieden und legen sich erst in den letzten Tagen fest. Diese 5, vielleicht auch 7 und in Großstädten auch mehr Prozent sorgen regelmäßig für Wahlsiege von Amtsinhabern. Sie abspenstig zu machen heißt “Wechselstimmung” zu erzeugen. Und sämtliche oben genannte Fehler haben bewirkt, dass diese Gruppe sich mit ruhigem Gewissen (und wie auch schon bei den letzten Landtagswahlen in RLP) der SPD zugewandt hat.