In Berlin zu leben hat Vorteile. In den vergangenen Tagen hatte ich zweimal die Gelegenheit, an „Mittagsgesprächen“ (des Instituts für europäische Politik IEP) teilzunehmen mit Menschen, die dabei sind, die nächsten größeren Weichenstellungen in Sachen Europäische Integration vorzubereiten.
Im Detail war alles sehr interessant. Doch eines war frappierend: Wie weit die Diskussionen in der Öffentlichkeit und die unter den Verantwortlichen auseinanderklaffen. In Gesprächen selbst mit gut Informierten und an Politik Interessierten hat man das Gefühl, die EU befinde sich in einer Art Ausnahme- und Krisenmodus, funktioniere nicht, stehe in Frage.
Wer hat also Recht? Ist der Euro schon gescheitert und die EU am Rande des Zusammenbruchs, wie es die AfD, die „Alternative für Deutschland“, glaubt herbeisuggestieren zu müssen? Wohl kaum. Diese Sicht ignoriert nicht nur, dass die politische Zusammenarbeit unbeeindruckt durch die Krise ihren normalen Gang geht, dass Wettbewerbs-, Welthandelspolitik ebenso in Brüssel gemacht werden, wie Regelungen etwa in Sachen Verkehr, Infrastruktur oder auch Datensicherheit und ähnlichen innen- und rechtspolitische Fragen. Und dass alle massiv dazu beitragen, die Währungsunion zu erhalten.
Ist also alles in Ordnung? Natürlich auch nicht. Es knirscht im Gebälk, die Institutionen funktionieren nicht wie sie funktionieren müssten. Die Situation im Süden übt erheblichen Druck auf die Regierungen dort wie auch auf die Partner im Norden aus, europapolitisches Neuland zu betreten. Damit rücken die alten Fragen auf die Tagesordnung: Wieviel Solidarität und wieviel wirtschaftspolitische Zusammenarbeit brauchen wir? Sind starke Gemeinschaftsinstitutionen zielführender oder die Absprachen der Regierungen? In welche Richtung entwickeln wir sie weiter, unsere Union?
Es stimmt also beides: Es gibt „Business as Usual“ neben erheblichen Problemen und vielen offenen Fragen. Wichtig wird sein, all dies gemeinsam in den Blick zu nehmen. Das Funktionierende und Erreichte ebenso wie das Problematische. Die Spannung zu benennen. Von Fatalismus genauso Abstand zu nehmen, wie von Gesundbeterei.