8. Mai 2014, Saarbrücken. Entsandt von der Europäischen Kommission sollte ich vor Interessierten Bürgerinnen und Bürgern referieren über Aufgaben, Arbeitsweise des Europäischen Parlaments, seine Rolle im Konzert der Europäischen Institutionen und die Bedeutung der Europawahl. Das Publikum hätte kaum heterogener sein können: Von jungen Leuten mit massiven Befürchtungen bzgl. des europäisch-amerikanischen Handelsabkommens TTIP bis zu äußerst resoluten Seniorinnen, die sich durch die Entscheidungen zum ESM persönlich bestohlen fühlen.
Meinen Vortrag begann ich bei den vertraglichen Regelungen, dann schilderte ich aber auch wie ein politisches System im Werden sich austariert, wie das Regelwerk mit Leben gefüllt wird, wie Institutionen ihre Möglichkeiten ausloten und Präzedenzfälle schaffen.
Im Anschluss dann gab es vier Diskussionstische, von denen ich einen übernahm, um vertiefende Fragen zu meinem Vortrag zu erörtern. An den anderen: Eine engagierte Seniorin zur Geschichte des europäischen Projekts, ein Vertreter des Vereins „mehr Demokratie“ und Anhänger der Linkspartei zur besseren Bürgerbeteiligung und ein Gewerkschafter und Attac-Aktiver zum Thema TTIP. Die Teilnehmenden rotierten. Es wurde gestritten, es wurde nichts ausgespart und keine Kontroverse umgangen. Auch beim abschließenden Stehempfang nicht. Und eine Reihe von Beteiligten bedankte sich beim Hinausgehen genau dafür.
Wir müssen lernen zu streiten, vor allem müssen wir es uns trauen. Dann wird Europa interessant, dann kann man sich einbringen, dann wird es anschaulich und konkret. Die Themen drängen sich geradezu auf: Wollen wir vor allem unsere Ruhe, setzen wir uns für unsere Werte und Überzeugungen ein oder soll’s vor allem kein Geld kosten – wie verhalten wir uns dementsprechend in unserer Nachbarschaft, wie gegenüber Russland, wie gegenüber den USA, wie gegenüber China? Oder auch gegenüber Flüchtlingen? Wo liegt in Europa der richtige Mix zwischen Vereinheitlichung und Wettbewerb – in letztlich allen Bereichen? Diskussionswürdige Fragen gibt es in unbegrenzter Zahl, wir sollten sie angehen. Anstatt überängstlich Frieden und Eintracht zu beschwören und vor allem niemanden beunruhigen zu wollen.