Ich habe ihn von Anfang an als Herausforderung empfunden: Den Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ende April bzw. Anfang Mai 2018 insgesamt 28 Schulen zu besuchen zwischen Salzwedel und Freyburg. Um über Europa zu diskutieren. Im Land Sachsen-Anhalt, in dem die AfD fast ein viertel der Wählerstimmen erhalten hat. Die Themen, die die Schülerinnen und Schüler an Sekundarschulen, Gymnasien und Berufsschulen interessierten, reichten weit: Während angehende Landwirte vor allem die Düngemittelverordnung interessierte, ging es anderen um Migration, Terrorabwehr, um Demokratie in der EU, den Brexit, oder auch Europas Rolle in der Welt.
Wie immer lernt man selbst am meisten, wenn man es erklären soll. Und so war ich gefordert. Und auch ganz allgemein habe ich viel gelernt:
- Der Zustand von Schulgebäuden sagt wenig über den Unterricht, der im Innern stattfindet. Ich habe großartige Neubauten gesehen, in die ich eigene Kinder eher nicht schicken würde. Und verbrauchte Plattenbauten aus DDR-Zeiten, in denen engagierte Lehrer Wunder vollbringen.
- Überhaupt: Zeig mir den Lehrer, und ich weiß Bescheid. Wenn man am Eingang oder im Lehrerzimmer mit abfälligen Anekdoten über die eigenen Schüler empfangen wird, und man es für nötig hält, sich von den eigenen Schützlingen zu distanzieren, kriegt auch ein Externer wie ich kaum einen Dialog auf Augenhöhe zustande. Aber wenn Lehrerinnen und Lehrer neugierig waren, vielleicht ein bisschen unsicher oder gar nervös beim Gespräch über Ihre Klasse, sich weder vorne neben mir als Kontrollinstanz aufbauten noch die Gelegenheit zur Freistunde nutzten, sondern hinten saßen, still, aufmerksam, lächelnd bei jeder guten Frage, aufmunternd, dann wusste man: Das läuft. Hier wird vertraut. Und selbst gedacht.
- „Europa ist wichtig.“ 20 Jahre meines Lebens verbringe ich nun schon zu großen Teilen damit, diese Erkenntnis zu vermitteln. Lange war das so schwer. Aber das ist vorbei. Europa ist relevant und im Mittelpunkt aller Diskussionen. Wie sehr hat man sich das gewünscht, nun sollte man nicht drüber jammern.
- Schon Zuhören schafft Vertrauen. Wenn man bei Problemen erklärt, was dahintersteckt. Wenn man Schwächen eingesteht. Auch persönliche Unzufriedenheit eingesteht und begründet. Gerade mit ausgessprochen kritischen Menschen kann man dann mit Gewinn (auch für die Gruppe) diskutieren.
- Die interessanteste Beobachtung: In der jungen Generation, die in die Europäischen Union hineingeboren wurde, fragen Kritiker (anders als andere Generationen) nie nach einer Rechtfertigung Europas. Sie halten die Existenz für normal und beklagen die Funktionsmängel. Wobei sie von äußerst hohen Erwartungen ausgehen. Die EU ist nicht der unerwünschte Nebenbuhler des Nationalstaates wie häufig bei Abendveranstaltungen, sondern vielmehr eine verklärte, enttäuschte Liebe.