‚An der Osteuropäern statuiert die EU ein Exempel, bei Spanien verschließt sie die Augen‚ – unter diesem Titel führte der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung am 6. April aus, warum seiner Meinung nach Polen und Briten unfair behandelt würden. Er wünscht sich mehr „Flexibilität“ bei der Kooperation in Europa. Hier meine Reaktion im Forum der Zeitung:
Alle Mitgliedsstaaten haben sich auf Gewaltenteilung und Bürgerrechte verpflichtet. Auch Polen. Und selbstverständlich ist das Land an diese Zusagen gebunden, zumal der gemeinsame Rechtsraum nicht existieren kann, wenn die Unabhängigkeit von Gerichten ausgehebelt wird. Hier geht es ‚ums Prinzip‘, aber eben nicht nur: Das Agieren der Regierung legt die Axt an die Gleichbehandlung von Polen und Nichtpolen, von Investoren aus Polen und anderen Staaten der Union, auch an die Überwachung der sachgemäßen Verwendung europäischer Mittel durch die polnische Verwaltung. Im Interesse des Europäischen Steuerzahlers, aber auch von Unternehmen und Bürgern, kann die Kommission da gar nicht anders als genau hinschauen.
Im Unterschied dazu gibt es kein „Recht auf Sezession“ – nirgendwo in der EU. Man muss schon sehr verzweifelt und kreativ sein, um beim Vergleich des polnischen Apfels mit der spanischen Birne Ungerechtigkeiten herbeizukonstruieren.
Zum angeblich schändlichen Stillhalten der Bundesregierung: Die EU ist eine Rechtsgemeinschaft, Beziehungen mit anderen Staaten der Union sind keine auswärtigen Beziehungen im klassischen Sinne mehr, insofern hat die Exekutive (hier die deutsche) auch nicht den geringsten Anlass, der Judikative (hier der von Schleswig-Holstein) ins Handwerk zu pfuschen.
Noch fragwürdiger ist übrigens der Bezug zu Großbritannien. Der Binnenmarkt (und erst Recht die Währungsunion!) brauchen die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Ausgleichsmechanismus, erst recht wenn man Finanztransfers im großen Stil vermeiden will. Polen beispielsweise hätte die Transformation ohne die damit verbundene Beschäftigung und die finanziellen Einnahmen daraus weniger gut bewältigen können. Zudem hat Großbritannien die Arbeitskräfte gebraucht und braucht sie immer noch.
Herr Gujer fantasiert sich hier sein persönliches Europa à la carte zusammen, in dem jeder tut was er will. Dies hätte aber den Preis der vollständigen Unverbindlichkeit, des Zerfalls und des Verlusts aller Vorteile des Integrationsprojekts. Zusätzlich ist ziemlich unplausibel, dass die Brexit-Abstimmung anders hätte ausgehen können, wenn die Partnerstaaten Cameron stärker entgegegngekommen wären. Schließlich spielten rationale Gründe praktisch keine Rolle.
All dessen ungeachtet stimmt allerdings, dass die Union politisch darauf hinwirken muss, dass in Spanien ein sinnvoller Kompromiss gefunden werden kann. Gerade die in der EVP zusammengeschlossenen Parteien und Politiker müssen hier unbedingt auch auf den spanischen Ministerpräsidenten einwirken. Gebraucht wird ein Kompromiss, der auch die Prinzipien verdeutlicht, nach denen erforderlichenfalls anderswo zu verfahren ist.
DAS ist dann ganz sicher Aufgabe der Exekutiven – der Union und für die europäische Kooperation der Mitgliedsstaaten. Dafür ist aber das Strafrecht sicher kein geeignetes Instrument.