Umkehrungsversuche bzgl. Kriegstreiberei, Friedensgefährdung, Aggression, Sicherheit usw. haben in der Debatte zum Glück deutlich nachgelassen, sind sie doch in Anbetracht des ruchlosen und grausamen Vorgehens der russischen Führung irgendwie hilflos.

Der norwegische Russland-Experte hat einen Artikel bei Substack veröffentlicht mit dem Titel How the West Criminalized Diplomacy, der nach seinen Angaben auf einer „Rede im Vatikan“ beruht. Sie wird nun durch die sozialen Medien gereicht bei AfD, BSW und Putinfreunden.
Trotz Glenns ausschweifender Darstellung bleibt natürlich richtig:
- Kriegstreiberei ist Kriegstreiberei
- zu töten und zu zerstören, um einen Nachbarn kulturell und politisch auslöschen zu wollen, ist nicht durch „Sicherheitsbedürfnisse“ begründbar (schon gar nicht unter Rückgriff auf den westfälischen Frieden)
- wer sich selbst isoliert, wird nicht isoliert.
- diejenigen, die Diplomatie verweigern, verweigern Diplomatie.
Der Artikel setzt nicht niedriger an als bei unserer rechtlich verfassten Staatenordnung zur Friedenssicherung, entwickelt im Westfälischen Frieden von 1648. Und behauptet allen Ernstes, Russland handele in dessen Sinn und alle anderen hätten sie verlassen, was völlig absurd ist. Aber im Einzelnen:
Das westfälische System beruht auf der rechtlichen Gleichheit aller Staaten. Die mit ihm errichtete kollektive Sicherheit stört der, der die Sicherheit eines der Staaten gefährdet. Aktuell stört Russland die kollektive Sicherheit, indem es einen Nachbarn überfallen hat. Insofern ist es Russland, das die Sicherheitsinteressen sämtlicher Mitglieder des europäischen Staaten verletzt. Weshalb die ja auch die Reihen schließen.
Das westfälische System wurde – anders als Glenn Diesen es behauptet – nach dem Kalten Krieg nicht aufgegeben,vielmehr konnten seine Prinzipien auf den ganzen Kontinent ausgeweitet werden. Mit Gründung der OSZE hat sich Russland 1994 feierlich zu ihnen bekannt. Mit dem Beitritt zum Europarat ist Russland zum Teil des europäischen Rechtsraums geworden, ui, Teil eines intensiv zusammenarbeitenden Raumes.
Die Nato hat ihre Türen für Russland weit geöffnet, hat den Partner in eigene Planungen einbezogen. Gehemmt wurde dies durch jene Mitglieder, die Angst vor russischer Aggression hatten – die grausam Recht behalten haben. Aber zurückgezogen hat sich Russland.
Die EU hatte ihre Türen für Russland ebenfalls weit geöffnet. Angeboten wurde faktisch, den Europäischen Wirtschaftsraum mit freiem Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Menschen und Kapital auf Russland auszuweiten und enger politischer Zusammenarbeit. Russland hat den Pfad dahin verlassen vor knapp 20 Jahren.
Die Versuche, Russland einzubeziehen, ist überall an dessen imperialen Anspruch gescheitert, das nicht bereit war, seine Nachbarn als gleichrangig zu akzeptieren und deren Sicherheitsinteressen zu respektieren.
Die Beherrschung der Nachbarn als eigene „Sicherheitsinteressen“ zu deuten bedeutet, dass man nicht die Sicherheit des eigenen Landes sondern dessen imperialen Anspruch in Gefahr sieht. Und das spiegelt die Selbstsicht, auf Basis von Zusammenarbeit und friedlichem Wettbewerb nicht mithalten, den eigenen „Rang“ und Machtanspruch nur mittels Angst und Schrecken durchsetzen zu können. Außerdem braucht Putin offenkundig auch den Krieg, um sein Land ruhig halten und seine Macht aufrechterhalten zu können. Auch deshalb kann er in der Nachbarschaft kein Beispiel für Demokratie und ein gutes Leben gebrauchen.
Wer „Machtanspruch“ als „Sicherheitsinteressen“ des eigenen Apparats und Herrschers deutet, verkehrt den Sicherheitsbegriff des Westfälischen Friedens ins Gegenteil. Insofern vollführt Diesen hier atemberaubende, intellektuell erbärmliche Klimmzüge.