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Wesentliches in der Krise

europaEuropäische Institutionen, die derart hart gegen einen Mitgliedsstaat – und damit dessen Bevölkerung – durchgreifen wie der Rat der Euro-Finanzminister und die Europäische Zentralbank am vergangenen Wochenende, kommen im Weltbild von Anhängern der europäischen Einigung nicht vor. Sie entsprechen nicht dem Ideal einer auf gegenseitigen Respekt begründeten, in jeder Situation kompromiss- und damit einigungsfähigen Europäischen Union. Die aktuellen Ereignisse stellen nicht nur das europäische Projekt in Frage, sondern damit auch das Engagement und das Selbstbild überzeugter Europäer. Das verunsichert und das tut weh.

Dennoch sollte man sich bemühen, Licht und Schatten zu trennen sowie Kern und Substanz des Einigungswerks nicht zu unterschätzen. Im aktuellen Fall geht es ja gerade nicht darum, dass die EU nicht in der Lage wäre, unterschiedliche Interessen und Erwartungshaltungen unter einen Hut zu bringen. Auch mit der Existenz teilweise widersprüchlicher wirtschaftspolitischer Konzeptionen leben wir von Anbeginn – und haben gerade im so vorhandenen Spannungsfeld produktiv die Einigung im ökonomischen Bereich vorantreiben können.

Die Institutionen liefen über Monate sozusagen im Leerlauf, weil die Regierung eines Mitgliedsstaates systematisch gegen die Regeln spielte. Absprachen nur taktisch und bis auf Widerruf einging und alles unternahm, um die üblichen Prozesse von Kompromisssuche und Konsensaufbau zu stören. Zum Leidwesen und begleitet von wachsendem Frust der Partner vermied sie fortwährend abschließende Entscheidungen in der Hoffnung, Druck zu lasten der Partner aufzubauen.

Diese Erfahrung verdeutlicht eindringlich, von welch hohem Wert die in der EU gewachsene Kultur gegenseitigen Respekts, emphatischen Umgangs gerade von Regierungsvertretern miteinander und der Wille zur Zusammenarbeit sind. Wir sollten trotz des Schocks der letzten Tage nicht aus dem Blick verlieren, dass die übrigen achtzehn Regierungen so eng zusammenstehen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Währungsunion – und dass sie mehr als erleichtert und freudig Vertreter einer kooperationsbereiten griechischen Regierung in ihren Reihen begrüßen würden.

Es ist durchaus erschreckend, wie leicht radikale politische Kräfte, die einen Mitgliedsstaat regieren, vitale Funktionen der Union aushebeln können. Daraus werden wir Lehren ziehen müssen. Vor allem aber muss dieses Geschehen als warnendes Beispiel dafür präsent bleiben, wie katastrophal sich unausgewogene sowie wichtige Interessen und Betroffenheiten ignorierende Politiken für die EU auswirken können. Mit besser konzipierten, kommunizierten und begleiteten Hilfsprogrammen wären wir nie in die aktuelle Situation gekommen.

Kurzfristig sollten wir uns jetzt aber darauf konzentrieren, alles zu tun, damit Griechenland nach dem Referendum am Sonntag nicht ins Bodenlose stürzt. Das Wohl der europäischen Völker muss im Zentrum stehen, ihr Wille zum Zusammenleben ist das Fundament der Union und durch nichts zu ersetzen.

Um es mit Max Frisch zu sagen: „Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz

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