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Illusion russischer Interessen

kremlIn seinem Gastbeitrag vom 11. März in der Süddeutschen Zeitung („Putin: Mann fürs Böse“) kommt Erhard Eppler auf Basis fragwürdiger Annahmen zu Schlüssen, die – in die Tat umgesetzt – eine Gefahr für die Stabilität Europas darstellen, mit Sicherheit nicht zur Deeskalation beitrügen und auf Dauer eine gedeihliche Entwicklung Europas, der Ukraine und nicht zuletzt auch Russlands nicht voranbringen, sondern verhindern würden.

Er argumentiert mit Bismarck, der auswärtige Beziehungen (zumindest bzgl. des Machtkalküls) als Nullsummenspiel und die europäische Staatenwelt als ein fragiles Machtgleichgewicht begriff, das er durch Allianzen der Großen über die Köpfe der Kleinen hinweg sowie bei Bedarf durch das Hin- und Herschieben einflussloser Staaten und Völker auszugleichen versuchte. Seine hier gelobte Empathie galt ausschließlich den großen Spielern, die kleinen waren bloßes Objekt.

Die heutige Europäische Union fußt hingegen auf dem Prinzip, dass allen Völkern unabhängig von ihrer jeweiligen Macht das gleiche Recht auf demokratische Selbstbestimmung zukommt. Und sie setzt konsequent die aus härtesten Lektionen gezogene Lehre um, dass Beziehungen auch zwischen Staaten eben kein Nullsummenspiel sind, sondern dass die Suche nach Gemeinsamkeiten und der zivilisierte Ausgleich von Interessensdifferenzen alle Beteiligten weiterbringt.

Dieses Europa würde sich selbst massiv destabilisieren, träfe es unter Missachtung des Willens der Ukrainer mit Russland Absprachen über deren Zukunft. Es ließe einen gefährlichen Präzedenzfall zu, wenn es nicht mit allen seinen Möglichkeiten einen Erfolg militärischer Aggression sowie mehrfacher Brüche internationaler Abkommen zu verhindern suchte. Putin teilt die Überzeugungen der Europäischen Union erkennbar nicht. Anders als Eppler es darstellt, besteht die größere Herausforderung nicht darin, Putin und seine Schachzüge zu verstehen, sondern angemessen auf sie zu reagieren.

Der Wahltermin 25. Mai steht und dennoch ist Putin nicht bereit, auf eine Regierung zu warten, „deren Legitimität unantastbar ist, eine, die aus freien Wahlen in der ganzen Ukraine hervorgegangen ist.“ Die Übergangsregierung Jatseniuk hat überhaupt nicht die geringste Chance, während ihrer kurzen Amtszeit einer Nato-Mitgliedschaft näher zu kommen.

Rationales Verhalten vorausgesetzt, kann die Bündnisfrage somit nicht der Grund für die Aggression Moskaus sein. Vielmehr spricht vieles dafür, dass das Agieren Moskaus (gemessen an den verlautbarten Zielen) in zweifacher Hinsicht kontraproduktiv ist: Es führt dem bisher einer Natomitgliedschaft deutlich abgeneigten Osten des Landes die Notwendigkeit starker Freunde im Westen möglicherweise erst recht vor Augen. Und es wird bei den Wahlen Russland wohlgesinnte Kräfte in der Ukraine wahrscheinlich eher schwächen.

Überhaupt ist die von Ihnen beschriebene „Einkreisung“ Russlands durch die NATO nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig besteht eine sehr tief sitzende Angst einer ganzen Reihe von Staaten vor russischer Aggression – und diese Triebfeder der Erweiterung gen Osten wird durch die Politik des Kreml gerade massiv verstärkt, nicht geschwächt.

Putin betreibt eine Destabilisierung der Ukraine, die nur das Ziel haben kann, sich innerhalb des Nachbarlandes mit der Krim (und möglicherweise darüber hinaus) eine Machtbasis zu schaffen, von der aus er wenn schon nicht gestalten, dann doch wenigstens stören und verhindern kann. Implizit gesteht er damit ein, dass seine vorherige Strategie gescheitert ist, die Ukraine insgesamt durch eine in Abhängigkeit von Moskau agierende Machtelite zu steuern. Putin ist die Kontrolle entglitten, weil der Wille weiter Teile des ukrainischen Volkes zum Aufbau eines ordentlich verwalteten demokratischen Staates nicht länger zu unterdrücken war.

Sein Strategiewechsel hat gravierende Konsequenzen sowohl für die russische Außen- als auch Innenpolitik. Nach Außen hin ist das Projekt einer „Eurasischen Union“ gescheitert, mit dem der Kreml versuchen wollte, ein eigenes Integrationsprojekt im Osten zu schaffen. Das Kalkül war, politisches Gewicht im postsowjetischen Raum zu gewinnen, indem man den Nachbarn Teilhabe an einem großen Markt anbietet. Dass die Ukraine zu einem Beitritt bereit sein könnte, ist nun praktisch nicht mehr vorstellbar. Andere Regierungen, etwa die Kasachstans, werden nun ebenfalls größere Abhängigkeiten von Russland unter allen Umständen zu vermeiden versuchen.

Nach Innen kann Putin die offiziell angestrebte Modernisierung des Landes nun noch weniger betreiben. Er vergeudet die natürlichen Ressourcen für sowjetnostalgisches Großmachtgebaren und nimmt für einen kurzfristigen Prestigegewinn hohe politische und ökonomische Verluste in Kauf. Verdrängt werden dabei die wirklichen Probleme Russlands: Eine ineffiziente, allein auf Kontrolle ausgerichtete und dabei willkürliche Verwaltung, die sich um den Zustand des Gesundheits- und des Bildungssystems wenig schert und Menschen mit Ideen und Initiative keinen Raum lässt.

Ich teile vollkommen Ihre im letzten Absatz zum Ausdruck gebrachte Vision: Dass die EU ein so enges Verhältnis zu Russland finden muss, „ökonomisch und politisch, dass Russland keinen Anlass mehr hat, der Ukraine Vergleichbares übel zu nehmen.“ Möglich ist dies aber nur mit einer Führung, die eingegangene Verpflichtungen einhält, die sich dem Dialog und einer gegenseitigen Überprüfung der handlungsleitenden ‚Fakten’ nicht verschließt. Auch darf sie nicht glauben, allein auf Kosten anderer stärker werden zu können.

Momentan können wir nur versuchen, Putins fortwährende Eskalation (und den dabei entstehenden Schaden) irgendwie zu begrenzen, die einzig seine persönliche Macht stabilisiert. Zusätzlich sollten wir dafür sorgen, dass der Erfolg freiheitsliebender Ukrainer nicht durch ausländische Intervention kaputt gemacht wird und als beständige Ermutigung auch für Russland dienen kann.

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz

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