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Die Nettozahlerdebatte führt in die Irre

Das Schachern der Mitgliedsstaaten über ihre Position als Nettozahler oder -empfänger führt systematisch zu schlechten Ergebnissen. Eine sachgerechte und faire europäische Haushalts- und Finanzpolitik erfordert, dass das Europäische Parlament die Verantwortung für beide Seiten des Unionshaushaltes erhält.  

Gute Haushaltspolitik gibt Geld sinnvoll und fair aus. In der EU bedeutet das: Für die Verwirklichung gemeinsamer Ziele, für Austausch und Zusammenarbeit, für die Unterstützung von Schlüsselbranchen und -technologien, für gute grenzüberschreitende Infrastruktur und zur Stärkung der Regionen, die im Binnenmarkt sonst abgehängt würden.

Gute Finanzpolitik erhebt die für diese Ausgaben nötigen finanziellen Mittel in einer als gerecht empfundenen Weise. In Europa sind wir weitgehend einig, dass es fair ist, Leistungsfähige stärker zu belasten als Schwache.

Über gute Haushaltspolitik und gute Finanzpolitik kann man streiten. Beide Diskussionen sind sinnvoll. Beide müssen so geführt werden, dass unterschiedliche Interessen zu einem sinnvollen Ausgleich kommen.

In der EU jedoch steht eine dritte Diskussion im Vordergrund: Diejenige über Nettozahler und -empfänger. Die Nettoposition ist jedoch nur eine statistische Größe, nämlich die Verrechnung der auf einem bestimmten Teilgebiet erhobenen Einnahmen mit den auf diesem Teilgebiet getätigten Ausgaben.

Eine solche Diskussion über Nettopositionen würde auf jeder politischen Ebene Schaden anrichten – ganz gleich ob man sie bei Haushaltsberatungen in München für Schwabing versus Hasenbergl oder in Hessen für Frankfurt versus Offenbach aufmachte. Diese Diskussion führen wird dort mit guten Gründen nicht geführt, weil sie nicht zu einem sinnvollen und tragfähigen Ergebnis führen kann. Auf europäischer Ebene jedoch ist sie der Normalfall.

Das Problem mit der Nettoposition ist, die sich nur manipulieren lässt, indem man entweder auf der Einnahmen- oder auf der Ausgabenseite für sich genommen unsachgemäße Entscheidungen trifft und ungerechte Maßstäbe anlegt. Da werden Rabatte vergeben oder Ausgaben gezielt nach oben manipuliert, damit jene profitieren, die meinen anders zu kurz zu kommen.

Zum Glück gönnen wir uns dieses Schachern nur alle 7 Jahre. Aber es führt zu suboptimalen Lösungen und lässt alle notwendig mit dem Gefühl zurück, so ganz korrekt sei es eben doch nicht zugegangen. Das nagt auch an der Legitimität der Beschlüsse.

Wie man das ändern kann? Indem man jährlich in einem transparenten Verfahren einen Haushalt aufstellt. Und indem man die Haushaltspolitik von der Finanzpolitik entkoppelt, um beide sachgerecht betreiben zu können. So, wie es auf allen politischen Ebenen eigentlich üblich ist.

Haushalts- und Finanzpolitik gehören darüber hinaus in die Obhut des Parlaments, nicht in Nachtsitzungen der Staats- und Regierungschefs, die alles mit allem verrechnen und Standards so zurechtbiegen, dass jeder einen ‚Sieg’ nachhause vermelden kann.

Erforderlich wäre dazu eine Finanzierung der Union über Eigenmittel, also über Steuerarten oder -anteile, die der Unionsebene direkt zustehen. Das sollte eigentlich nicht überraschen: Die Hoheit über Einnahmen und Ausgaben gehört in jeder Demokratie ins Parlament, und nirgendwo sonst hin.

Erschienen auf der Website der Europäischen Bewegung Deutschland als Beitrag zum EBD-Telegram zum Mehrjähgigen Finanzramen.

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz