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Ukraine: Langer Atem gefragt!

Beim Thema Ukraine prallen unvereinbar die Positionen Russlands und des Westens aufeinander. Während der Westen im Maidan einen Erfolg mutigen Bürgersinns sieht, der zum Wohle der Ukraine selbst und als Ermutigung der Nachbarn bewahrt, stabilisiert und weiter entwickelt werden muss, sieht Russland es gerade umgekehrt.

Donnerstag, 17. April 2014

Ein von der politischen Führung nicht mehr kontrollierbarer Aufstand bedeutet Instabilität und ist der Feind jeder sinnvollen Entwicklung. Hier vermengen sich die Erinnerung an den Zerfall der Sowjetunion und das russische Chaos der 90er Jahre mit der Angst vor einem Kontrollverlust über ein heterogenes Riesenreich.

Auch an einem anderen Punkt lassen sich diametral entgegengesetzte Positionen festmachen: Für den Westen ist das nationale Selbstbestimmungsrecht unverhandelbare Grundlage jeder internationalen Zusammenarbeit; Russland hingegen beansprucht in seinem unmittelbaren Umfeld eine als fast schon als natürlich empfundene Einflusszone, in der gemeinsame Interessen ignorierende Brudervölker notfalls schon in deren eigenem Interesse zur Raison gebracht werden müssen. Zwar kennt auch der Westen Einflusssphären, aus seiner Sicht jedoch ist die Berücksichtigung der Interessen anderer Akteure Ausfluss wohlverstandenen Eigeninteresses, während für Russland die Akzeptanz der Abhängigkeit der Formulierung eigener Interessen voranzustellen ist. Auch Russland argumentiert mit dem Selbstbestimmungsrecht, jedoch macht es Unterschiede zwischen legitimen Interessen von Großmächten und irrelevanten Interessen anderer.

Weder bezogen auf die Erzählung der Geschichte des Maidan noch auf das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine sind damit Kompromisse zwischen der Europäischen Union und den USA einerseits und Russland andererseits denkbar. Das hat weitreichende Konsequenzen: Der Konflikt wird offen bleiben, bis eine Seite sich durchgesetzt hat.

Die Europäische Union ist damit gescheitert, über das marktwirtschaftliche Instrument von Assoziierungsabkommen die politische Landkarte Osteuropas ohne Berücksichtigung Russlands neu zu zeichnen. Heute ist sie auch mit Hilfe der Amerikaner nicht in der Lage, die Ukraine vor russischer Destabilisierung abzuschirmen. Damit kann Russland die westliche Sicht nicht aufgezwungen werden.

Aber auch Russlands Ukrainepolitik liegt in Trümmern. Die lange verfolgte Strategie, die Ukraine ganz „europäisch“ mit weichen Mitteln im eigenen Machtbereich und damit fern von der EU zu halten, ist am Maidan gescheitert. Dies manifestierte sich in der Anreise dreier Außenminiser aus der EU in Kiew, die einen russischen Gesandten beim Abschluss eines Abkommens zwischen Regierung und Opposition gnädig hinzubaten.

Der Westen kann den Reformern in der Ukraine die eigene Unterstützung nicht entziehen, weil dies die Fundamente der europäischen Integration – europäische Solidarität und das verlässliche gemeinsame Einstehen für gemeinsame Werte und Prinzipen – nachhaltig beschädigen würde. Zudem könnte sich Russland zu weiteren Völkerrechtsbrüchen sowie Aktionen gegen „eigensinnige“ Nachbarländer geradezu ermutigt sehen.

Aber auch die russische Führung kann nicht einfach jede Einflussnahme auf die Ukraine beenden. Die wirtschaftliche Verbindung ist so eng, dass Russland deren Preisgabe als Amputation mit gravierenden Konsequenzen empfände. Eine zu willfährige Haltung gegenüber Revolutionären wäre ein gefährlicher Präzedenzfall. Die hohe Popularität des Krim-Anschlusses an Russland demonstriert zudem, dass die Bevölkerung eine Verteidigung machtpolitisch definierter Interessen Moskaus goutiert.

Wenn die komplexe Situation weder in die eine noch in die andere Richtung aufzulösen ist, dann werden wir uns mit ihr arrangieren müssen. Eine einfache, klare Lösung wird es nicht geben. Wir werden lernen müssen, mit den Spannungen zu leben. Im Vertrauen darauf, dass Russland seine gegenwärtige Politik ökonomisch auf Dauer nicht wird durchhalten können, werden wir uns darauf konzentrieren müssen, mit allen Mitteln eine Eskalation zu vermeiden.

Solche Mittel sind: Ein ständiger Dialog mit dem Ziel, Gesprächskanäle offen zu halten, Vertrauen aufzubauen und gemeinsame Interessen zu definieren. Verlässlich eintretende Sanktionen, die jeden Eskalationsversuch mit einem teuren Preisschild versehen. Mäßigendes Einwirken auf die ukrainische Führung im Gegenzug für politische und wirtschaftliche Unterstützung. Und enge Kooperation im Bereich der Zivilgesellschaft mit interessierten Gruppen überall in Osteuropa, die ganz darauf setzt, dass es noch nie gelungen ist, den Willen ganzer Völker zu einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung dauerhaft mit den Mitteln der Machtpolitik zu unterdrücken.

Erschienen bei Capital Beat!

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Autor

Diplom-Ökonom, Diplom-Politologe, MSc. in European Accounting and Finance Geschäftsführer bei polyspektiv, Vorstandsmitglied bei der EBD Wohnhaft in Berlin und in der Pfalz

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